Propriozeption

Mit allen Sinnen

Sinnlich erfassen heißt sehen, heißt riechen, heißt fühlen, schmecken und tasten. Dinge, die selbstverständlicher nicht sein könnten; doch was in uns koordiniert diese Eindrücke und Empfindungen? Welche Instanz lenkt unsere Wahrnehmung? Welcher Sinn ist dafür zuständig, dass Muskeln sich bewegen, sich an- und wieder entspannen, welcher Mechanismus hält uns aufrecht und lässt uns wissen, wo im Raum wir uns befinde, wo oben ist und wo unten?

Dieses tiefe Verständnis der Dingen um uns herum, das Wissen um Abläufe und räumliche Positionierung, wird in der Umgangssprache als „Tiefensensibilität“ bezeichnet und ist in der Forschung unter dem Begriff Propriozeption geläufig. Abgleitet vom lateinischen Wort proprius, das die Wörter eigentümlich, eigen und besonders mit einschließt, ist deutlich klar, dass dieser dem Menschen eigentümliche Sinn dafür verantwortlich ist, dass wir aufrecht stehen und uns bewegen können. Effektiv handelt es sich dabei um spezielle Rezeptoren in unseren Muskeln und Gelenken, die eben jene Informationen über Bewegungen und Position unseres Körpers im Raum an unser Gehirn weiter geben.

Unser sechster Sinn

Propriorezeptoren sind in unserem Körper dafür verantwortlich, dass er sich und seine Umgebung wahrnimmt. Sie sitzen in unseren Muskeln und Sehnen, Bändern und Gelenken. Sie reagieren unterschiedlich auf Eindrücke wie Druck oder Verformung. Diese Signale werden von den Propriorezeptoren an das Gehirn weiter geleitet und geben dort Auskunft darüber, ob es notwendig ist die Position des Körpers zu verändern. Sollte dies der Fall sein, senden die Rezeptoren ihre Informationen unverzüglich an die zuständigen Muskeln und Gelenke weiter.

Jede Bewegung, jede kleine Änderung unserer Haltung, jeder Schritt und jedes Kopfnicken unterliegt so einem streng geregelten Mechanismus. Viele tausende Male kommt dieser Sinn zum Einsatz und dennoch passiert er vollkommen unbewusst und ohne, dass wir Notiz davon nehmen würden. Ein willkommener Umstand, denn wären uns alle Abläufe bewusst, würde uns die Wahrnehmungsflut mitreißen.

Short Cut

Unser sechster Sinn die Propriozeption in Kürze:

  • Die Empfindung von Lage, Haltung und Bewegungen des Körpers im Raum wird koordiniert.
  • Sehnen Gelenke und Muskeln erhalten durch mehrere Arten von Rezeptoren ihre Informationen.
  • Ablauf und Verarbeitung der wahrgenommenen Informationen werden unbewusst an die Empfänger (Muskeln, Sehnen) weitergeleitet.

Das was im Alltag unbewusst passiert, ist also ein kleines Wunder der Organisationsstruktur in unserem Körper. Am eigenen Leibe erfahren kann man das Ausschalten des Propriozeptions-Apparats immer dann, wenn unter Alkoholeinfluss simple motorische Aufgaben (das Gehen auf einer Linie nur als bekanntes Beispiel) plötzlich nicht mehr möglich scheinen. Alkohol und Drogenkonsum beeinträchtigen und stören die Verarbeitung propriozeptiver Informationen in unserem Körper und konsequenterweise gerät der Mechanismus durcheinander, was zu Gleichgewichtsstörungen und Schwindel führt.

Zuständigkeitsbereiche unserer Sensoren:

Es ist eine Vielzahl an unterschiedlichen Rezeptoren, die Haltung, Lage und Bewegung koordinieren. „Mess“-Sensoren, (Muskelspindeln und die Golgi-Sehnenorgane) für unsere Gelenke etwa:

  • Muskelspindeln befinden sich in unseren Skelettmuskeln und bestehen aus spindelförmigen Skelettmuskelfasern. Ihre, von einer Nervenfaser umgebenen, Muskelfasern registrieren Dehnung.
  • Golgi-Sehnenorgane befinden sich hintereinander angeordnet in Skelettmuskeln zwischen Muskel und Sehne. Ihre Funktion ist das Überwachen der Muskelspannung. Mechanosensitive Fasern im Bindegewebe der Gelenke reagieren darüber hinaus auf Winkelveränderungen, Richtungsänderungen und Veränderungen der Geschwindigkeit.

Im Rückenmark werden manche Propriozeptions-Informationen ausgewertet und mit Reflexen ad hoc beantwortet, noch bevor sie ans Gehirn weitergeleitet werden. Einer der bekanntesten propriozeptiven Reflexe ist der Patellarsehnenreflex. Ein leichter Schlag aufs Knie löst sofort eine Reaktion aus.

Gezielte Informationsweiterleitung

Effektiver als der modernste Rechner leitet unser Körper die wahrgenommenen Informationen unseres sechsten Sinnes weiter. Über zwei unterschiedliche Bahnen wird das Gehirn angezielt, es kommt nur darauf an, ob die Reize bewusst oder unbewusst verarbeitet werden.

  • bewusste Tiefensensibilität verläuft auf der somatosensorische Bahn: Direkt über den Thalamus gelangen die Informationen im Scheitellappen des Cortex.
  • unbewusste Tiefenwahrnehmung verläuft über den Tractus spinocerebellares: Sie im Kleinhirn, welches  die Bewegungskontrolle koordiniert.

24h im Dienst

Unser Propriozeptions-Apparat ist 24h am Tag aktiv. Auch dann wenn wir schlafen oder entspannt sind, müssen die Sensoren die Lage unseres Körpers kennen und unbewusste Bewegungen koordinieren. Störungen des Wahrnehmungs-Apparates sind fatal, so kann man beim Verlust desselben seine Fähigkeiten, sich zu bewegen einbüßen. Selbst kleinste Bewegungen und auch das Stehen erfordern ohne funktionierenden Wahrnehmungsapparat genaue Planung und bewusste Kontrolle.