Therapeutisches Klettern

Hoch hinaus, um gesund zu leben!

Jeder, der bei sieben Metern Höhe an einem fingerdicken Seil über dem Boden baumelt, bekommt es wohl mit der Angst zu tun. Das ist auch gut so. Unser Körper benötigt diese Emotion, um sich zu schützen und in Gefahrensituationen Adrenalin auszuschütten.

Diese Reaktion unterscheidet sich seltsamerweise nicht im Geringsten von den Reaktionen in ganz anderen Angstsituationen: bei Prüfungsangst zum Beispiel, bei der Angst vor Spinnen oder bei depressiven Angstzuständen. Die Konfrontation mit der einen Angst kann sich also direkt auf andere Angstquellen positiv auswirken.

Zusammengefasst heißt das also: Mit dem Klettern und der sportlich, spielerischen Auseinandersetzung mit meiner Höhenangst kann ich im Fall meine Prüfungsangst loswerden – ein Fakt, das sich heute bereits zahlreiche Therapeuten zu Nutze machen.

Seit wann gibt es die Klettertherapie bereits?

Den Klettersport als Therapiemöglichkeit wahrzunehmen, wie kann man sich das vorstellen? Seinen Anfang hat das therapeutische Klettern im Bereich der Orthopädie genommen. Koordinationsstörungen konnten behandelt werden, einhergehend mit der Förderung von Fein- und Grobmotorik. Zusätzlich steigerten sich Kraft, Ausdauer, Reaktionsgeschwindigkeit sowie Belastbarkeit der Patienten.

Auch der Gleichgewichtssinn wird bei der Therapie gestärkt. Tiefen- und Oberflächensensibilität entwickeln sich, die räumliche Wahrnehmung ändert sich. Dadurch passieren Dinge im menschlichen Körper, die mit einer rein körperlichen Veränderung in keinem direkten Zusammenhang stehen: Das Selbstbewusstsein steigt ebenso wie das Selbstwertgefühl. Vertrauen kann aufgebaut werden, Verantwortungsbewusstsein und Selbsteinschätzung werden gestärkt. Auch die geistigen Fähigkeiten können durch das therapeutische Klettern angeregt werden, indem sich die Patienten ein Ziel definieren, nach dem sie ihre Handlungen planen müssen (Gedächtnis, Konzentration und Problemlösungsstrategien sind hier gefragt).

Auf Basis dieser Erkenntnisse konnte sich das Klettern auch in anderen medizinischen Bereichen etablieren. Heute findet das therapeutische Klettern seine Anwendung in vielen Bereichen, wie etwa der Neurologie (als Rehabilitationsmöglichkeit) und der Psychotherapie bzw. Verhaltenstherapie. Hier geht es natürlich nicht in erster Linie um den sportlichen Effekt, sondern um ganz andere primäre Ziele.

Da das therapeutische Klettern eine sehr junge Therapieform ist, kommt sie verhältnismäßig selten zur Anwendung, und das trotz der zahlreichen Bereiche, in der sie die ideale Therapieform darstellen könnte.

Therapeutisches Klettern und seine Anwendungsbereiche

In der Orthopädie kann das Klettern das Aufbautraining übernehmen: Motorik, Muskelstabilisierung sowie Körperbeherrschung und Bewegungsabläufe können koordiniert und gesteigert werden. Das Klettern kann so die herkömmliche Krankengymnastik ergänzen.

In der Neurologie schult das Klettern nach Schlaganfällen oder bei Multipler Sklerose die Körperwahrnehmung und die Koordinationsfähigkeit. In der Geriatrie zielt eine klettertherapeutische Behandlung vor allem auf das Bekämpfen von Angstzuständen, zusätzliche Effekte, die in diesem Bereich der Medizin fokussiert werden sind: Steigerung des Gleichgewichts, der Muskelkraft und der Gelenkigkeit. In der Psychotherapie werden Angst- und Panikstörungen gelindert, es kommt zu einer positiveren Körperwahrnehmung und zur Aktivierung des Patienten bei einer Depression. Da das Klettern das Überwinden der Angst voraussetzt, gewinnen Patienten an Selbstvertrauen, sie steigern ihre körperlichen Fähigkeiten.

Durch die Kombination dynamischer Muskelarbeit mit statischer Muskelarbeit erhöht sich die Kraft und Ausdauer der Kletternden rapide.

Für wen und in welchen Bereichen ist das therapeutische Klettern geeignet?

Prinzipiell kann jeder Vorteile durch das aktive Klettern erzielen, aber die Therapie muss natürlich auch zum Patienten passen. Die Patienten müssen etwas mit Bewegung und Sport anfangen können. Depressive Menschen können durch das Klettern eine Antriebssteigerung erfahren, aber nur dann, wenn sie sich nicht komplett dagegen sperren.

Da es beim Klettern stark um Vertrauen geht und man in einer Zweierkombination arbeitet, werden auch in einem sozialen Bereich Grenzen überwunden. Es ist äußerst wichtig, die Therapieform an den Patienten anzupassen.